In seinen Ariomantischen Briefen, die nun erstmals zusammenhängend in mehreren Bänden veröffentlicht werden, greift der Begründer der Ariosophie eine ganze Reihe von esoterischen Überlieferungen auf. In dem im 3. Band der Reihe enthaltenen Brief Nr. 28 (Über die Priesterschaft des Pythagoras und Brahma) befaßt sich Lanz unter anderem mit der nordischen Abstammung der ursprünglichen Hebräer. Lanz leitet diesen Stamm von den Amoritern ab, die wiederum Nachfahren der in den Süden ausgewanderten Kimbern seien. Deren aus der „von den arisch-nordischen Völkern der Meder, Perser und Armenier besiedelten“ Stadt Ur in Chaldäa ausgewanderte Stammvater Abram verkehrte laut Lanz „mit den Engeln, ja er bewirtet sie sogar, ist also der Stifter und Prediger der von ihnen verkündeten Religion und der Diener des theonischen Elektrozoons ‚Mambre‘ oder ‚Mimra‘, des höchsten Sonnen-Engels, des Logos.“1 Das biblische Buch Lur. III, 36, nennt Arphaxad als Urgroßvater des Eber, des Stammheros der Hebräer, der wiederum ein Sohn des Sems und Enkel des Noa gewesen sei.
Auch der Symbolkundler Herman Wirth hatte den Amoritern aus sprach- und symbolkundlichen Erwägungen heraus eine nordische Herkunft bescheinigt, die bereits zuvor von einigen Prähistorikern, darunter Ernst Krause,2 konstatiert worden war.
Auch die von den Hebräern abstammenden Israeliten unter ihrem Führer Moses-Musaeus seien Lanz zufolge als nordischer Stamm aufzufassen.
Jahweh sei identisch mit El, jenem Himmelsgott, den Jesus noch am Kreuz anrief, und der mit dem germanischen Wotan gleichgesetzt werden könne, wie Lanz bemerkt: „Der biblische Gott „Sabaoth“, das ist der „Herr der Engelscharen“, den übrigens auch die Griechen sehr gut kennen als „Sabazios“, der ein Sohn der Kybele ist, und vielfach auch als identisch mit Dionysos (= Jakchos = Jahweh) aufgefaßt wird. Der biblische Gott „Sabaoth“ ist demnach genau dasselbe, wie der nordische Walkürengott Wodan, der „wilde Jaga“ = Jakchos = Jahweh!“
Und Mosis entspricht demnach sowohl dem Orpheus als auch dem Musaeas von Athen. „Der Zug des Moses durch die Wüste“, so Lanz in Brief Nr. 26 („Die Priesterschaft des Orpheus“), „ist vorgebildet durch die Weltenwanderung des — Osiris, durch die Fahrt der Argonauten, (Orpheus der Substitut des biblischen Moses nimmt an der Reise der Argonauten teil) durch den Triumphzug des Bakchos und durch die Auszüge der nordischen Urgötter und überhaupt durch die sich über die ganze West hin verbreitenden Wanderzüge der nordisch-arischen Völker, aus denen jährlich zur Frühjahrszeit, zu Ostern (!) die Jungmannschafien und Weihefrühlinge auf Abenteuer in alle Länder der Welt ausgesandt wurden. Das speziell nächstliegende Vorbild für die Bibel war die Heerfahrt des Osiris. Osiris ist nämlich identisch einerseits mit Aesir = Asengott, andererseits mit Issuru-el = Gott Israel = Jahveh, alle diese Aus- und Umzüge sind die Vorbilder des biblischen Buches Exodus und der Wüstenwanderung des „Israelvolkes“, das von Engeln Issuri geführt und geleitet wird.“
Für die heutigen Juden gelte diese Abstammung laut Lanz jedoch nicht, da sie „ebensowenig Rassenblut von den Urisraeliten in sich haben, wie die heutigen Inder, Griechen und Süd-Italiener von den alten Indoariern, Hellenen und Römern.“
Die Unterscheidung zwischen ursprünglichen Hebräern und Israeliten einerseits und heutigen Juden andererseits dürfte Lanz laut Biograph Horst Lorenz auch bei dem jüdischen Autoren Oskar Goldberg (1885 – 1952) vorgefunden haben. Dieser vertrat die These, daß die Hebräer den „höheren Gottesbegriff erst begründet“, da sie als erstes Volk die Vorstellung Gottes als Tier abgelehnt hätten.3 Abgesehen von der Unrichtigkeit dieser These ist es interessant, daß trotz des dem Lanz vorgeworfenen starken Antisemitismus auch Juden wie Moritz Altschüler4 und Karl Kraus zum Freundeskreis des Lanz zählten und er selbst auch in der damaligen „Monumenta Judaica“ publizierte. Hier schrieb er u.a.: „Bei der Beteiligung sehe man strenge auf (alte, gut germanische, bei Juden auf echt israelitische) Abstammung.“5
„Das zeitgenössische Judentum“, so Lanz-Biograph Horst Lorenz, „verdeutlichte für Lanz schlicht eine ‚mediteran-mongolide‘ Mischrasse, mit teils ‚heroischem‘ Einschlag, der sich zum Teil sogar noch ‚aus dem israelischen Urvolk‘ erhalten habe.“6 „Diesem Judentypus“, so Lanz, „entstammen sehr viele Genies, die sich teils durch hervorragenden Intellekt, teils durch ehrenwerten Charakter auszeichnen…“7
Einen stumpfen Antisemitismus findet man trotz aller gegenteiligen Behauptungen bei Lanz nicht.
„Um allen Irrtümern von vorneherein zu begegnen, bemerke ich ausdrücklich, daß ich in der ‚Ostara‘ und in all meinen Schriften nicht den Wald- und Wiesenantisemitismus vertrete und keinen Kampf gegen die … jüdische Konfession führe“ stellte Lanz bereits in „Ostara“ Nr. 3 (1905) klar.
Weitere Hintergründe in der Veröffentlichung „Die Ariomantischen Briefe. Band 3“
Anmerkungen:
1) Die zur Unterstützung dieser These hier angeführte Bibelstelle (I. Macchabaei, XII, 21), derzufolge ein Spartaner in einem Brief an die Juden die gemeinsame Abstammung von Abram betonte, ist vor dem Hintergrund der mittelalterlichen Abschriften bzw. Neuverfassungen antiker Schriften durch christliche Mönche und deren damalige Praxis, allen Kulturvölkern eine abrahimitische Abstammung anzudichten, mit Zurückhaltung zu begegnen.
2) Ernst Krause: Die Urgeschichte der Arier. Bottrop 2024, S. 18.
3) Horst Lorenz: Lanz von Liebenfels. Theozoologie und Ariosophie. Radolfzell 2010, S. 168 ff.
4) Rabbiner Altschüler war auch Mitglied der „List-Gesellschaft“.
5) Siehe Lanz (2021), S. 4 f.
6) Lorenz a.a.O., S. 75.
7) Ostara Nr. 40 (1910), S. 7.