Forsite Verlag Beiträge zur Frühgeschichte Entwickelte sich der Ur-Mensch in Europa?

Entwickelte sich der Ur-Mensch in Europa?



Bereits im Juni 2009 hatten Wissenschaftler in Spanien die fossilen Überreste eines möglichen Vor-Vorfahren des Menschen entdeckt. Der „Anoiapithecus brevirostris“ hat sich vor rund zwölf Millionen Jahren in Europa entwickelt und wanderte von dort aus nach Afrika ein. Allerdings war nicht klar, ob es sich hier um einen direkten Vorfahren des Menschen oder eine Parallelentwicklung handelte.

Im Mai 2017 untersuchten Wissenschaftler aus Tübingen dann aber zwei etwa 7,2 Mio Jahre alte in Griechenland und Bulgarien gefundene Fossi­lien des Hominiden „Graecopithecus freyberg“ neu und stellten anhand der verschmolzenen Zahnwurzeln festgestellt, daß es sich bei dem Ho­miniden um eine bislang unbekannte Vormenschenart handelt. Damit erhärtete sich der Zweifel, ob der Ur-Mensch wirklich in Afrika entstand.
Im September 2017 untermauerten dann Funde von Fußabdrücken eines Hominiden im kretischen Trachilos die ur-europäische Herkunft des Ur-Menschen. Die Abdrücke liegen in einer Schicht Sedimentgestein, die bereits 5,7 Millionen Jah­re alt ist, wie Datierungen von winzigen Meeresorganismen in dieser Schicht belegen.

Nun kommt ein neuer Fund dazu, der erstmals von verschiedenen Medien aufgriffen wurde, und als Meilenstein der Paläoanthropologie dazu geeignet ist, die bisherige Sichtweise auf die Evolution der großen Menschenaffen und des Menschen grundlegend in Frage zu stellen. Ein internationales Forschungsteam um Professorin Madelaine Böhme vom Senckenberg Center for Human Evolution and Palaeoenvironment an der Universität Tübingen hat in Süddeutschland Fossilien einer bislang unbekannten Primatenart entdeckt, die vor 11,62 Millionen Jahren lebte und bereits den aufrechten Gang praktizierte. Der „Danuvius guggenmosi“, so der Name der neu entdeckten Art, wurde in der Tongrube „Hammerschmiede“ im Landkreis Ostallgäu gemeinsam mit mehr als 15.000 fossilen Wirbeltierknochen gefunden. Der Lebensraum von Danuvius waren feuchte und bewaldete Ökosysteme, die vor etwa 12 Millionen Jahren in Süddeutschland vorherrschten. Die Fossilfunde konnte das Team mindestens vier Individuen zuordnen. Das am besten erhaltene Skelett eines männlichen Danuvius verfügt über Proportionen, die einem Bonobo ähneln. Dank vollständig erhaltener Arm- und Beinknochen, Wirbel, Finger- und Zehenknochen ließ sich rekonstruieren, daß sich Danuvius auch auf zwei Beinen fortbewegte, aber auch klettern konnte wie ein Menschenaffe. Den Rumpf hielt er durch eine S-förmig gebogene Wirbelsäule aufrecht. Körperbau, Körperhaltung und Fortbewegungsweise sind für einen Primaten bislang einzigartig. Diese Ergebnisse lassen den Schluss zu, dass sich der aufrechte Gang des Menschen in Bäumen und vor über 12 Millionen Jahren entwickelte. „Im Gegensatz zu späteren Menschen hatte Danuvius eine kräftige, abgespreizte große Zehe, mit der er große und kleine Äste sicher greifen konnte“, erklärte Professor Nikolai Spassov, von der Bulgarischen Akademie der Wissenschaften. Die Fossilien zeigen, dass Danuvius etwa einen Meter groß war. Die Weibchen dürften gerade mal 18 Kilogramm gewogen haben, weniger als die heutigen Menschenaffen.

Unterstützung findet die Ablehnung der klassischen Out-of-Africa-These durch in Europa aufgefundene Homo Heidelbergensis-Skelette, die als direkte Nachfahren des Homo Erectus dennoch enger verwandt mit dem Homo Sapiens scheinen, als mit dem Neandertaler, der bereits seit 300.000 v. Zw. in Europa lebte. Ein frühes Indiz gegen die OoA-Theorie war der Fund des Steinheim-Schädels (zwischen 250.000 und 300.000 v. Zw.) der physiognomisch näher am modernen Menschen liegt, als der Neandertaler und somit schlecht als Entwicklungsstufe zwischen Erectus und Neandertaler erklärt werden kann. Ebenso zählt der Ehringsdorfer Fund (um 200.000) in diese Kategorie. Der eine Gehirnkapazität von beachtlichen 1450 cm³ aufweisende Schädel wurde von Günther Behm-Blancke in den 1960er Jahren der Entwicklungslinie des modernen Menschen zugeordnet. Eine Nachuntersuchung durch den Anthropologen Emanuel Vlček 1982 bestätigte viele Homo-Sapiens-Merkmale. Entweder muß es demnach eine weitere Homo-Form in Europa gegeben haben, die in einer Sackgasse endete, oder wir haben es hier mit einer Entwicklungsstufe zum modernen Menschen zu tun, welche die OoA widerlegen würde.

Das Bild des Neandertalers indes durchlief in den zurückliegenden Jahren ebenfalls eine enorme Wandlung: Vom tumben Halbaffen mutierte er zum Stammesbruder des Menschen, der mit einem Gehirnvolumen zwischen 1200 bis 1750 Kubikzentimeter (im Mittel rund 1450 cm³), ein durchschnittlich sogar größeres Gehirn als der heutige Mensch (1400 cm³) aufwies.
Dies stimmt mit der Erkenntnis überein, daß ein großes Gehirn großer Kühlung bedarf und sich entsprechend vor allem dort ent-wickeln kann, wo gemäßigte bis kühle Temperaturen vorherrschen. Bereits für 400.000 v. Zw. sind Angehörige einer Homo-Erectus- Population nachgewiesen, die in Hütten lebten und Speere bauten mit denen sie regelrechte Treibjagden auf Pferdeherden durchgeführt haben müssen. Die im niedersächsischen Schöningen aufgefundenen Knochenreste zahlreicher Pferde belegen schon für diesen frühen Zeitpunkt die Existenz einer Kultur, die sich einer Kommunikationsform bedient haben muß, um komplexe Dinge wie eine großangelegte Jagd betreiben zu können. Vervollständigt wird das Bild eines bereits hochentwickelten Menschen durch
Einritzungen von Strukturen auf Knochenstücken. Drei gleichartige Aststücke mit einer Einkerbung an der gleichen Stelle weisen zudem auf zusammengesetzte Gerätschaften hin, sogenannte „Kompositgeräte“. Für das thüringische Bilzingsleben liegen zeitgleiche Gebrauchsspuren an Knochengeräten vor, die eine systematische Bearbeitung von Fellen und Häuten
nahelegen.

Auch der kulturelle Verstand des frühen Menschen war offenbar schon viel früher ausgeprägt, als lange Zeit angenommen. Die älteste „Kultstätte“ wurde kürzlich in einer Höhle in Südfrankreich entdeckt und wird auf ein Alter von 175.000 Jahren datiert. Bei der vermutlich von Neandertalern angelegten Formation handelt es sich um Kalksteine, die in zwei unterschiedlich großen Kreisen formiert wurden.

Quellen: https://www.archaeologie-online.de/nachrichten/neuer-vorfahr-des-menschen-in-europa-entdeckt-4471

Vom Autor erschienen: „Hyperborea. Der Mensch aus dem Norden in der Frühgeschichte“

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