Forsite Verlag Veröffentlichungen René Guénon und der König der Welt

René Guénon und der König der Welt



Der französische Esoteriker René Guénon gilt als Begründer der Traditionalistischen Schule. Der Traditionalismus gründet auf der Vorstellung einer Verknüpfung der verschiedenen Religionen und Religionskulte Europas und des Vorderen Orients, die sich aus einer gemeinsamen Wahrheit, sogar einer gemeinsamen Herkunft speist. Hintergrund dieser Anschauung sind ewige, unveränderliche und universal gültige Wahrheiten über die Wirklichkeit, speziell den Menschen, die Natur und den Geist (bzw. Gott), die unter dem Begriff der „Philosophia perennis“ zusammengefaßt werden. Hauptgegner in dieser Anschauung ist die Moderne, die als Zerstörerin der ewigen Werte wie Religion, Familie und Ahnenkult ausgemacht wird.
Tradition im Sinne des Traditionalismus, so der wohl letzte von Guénon stark beeinflußte Traditionalist und Eurasianer, Alexander Dugin, „ist Hierarchie, also sollten an der Spitze der Gesellschaft Philosophen, weise Männer und die spirituelle Elite stehen…. Das Zen-trum der heiligen traditionellen Gesellschaft Europas waren Gott und die Ewigkeit…. Mit dem Beginn der Moderne wurde alles zerstört.“
Guénon beeinflußte mit seiner Philosophie Protagonisten wie Frithjof Schuon („islamischer Traditionalismus“, Sufismus), Mircea Eliade („weicher“ oder „akademischer Traditionalismus“), Julius Evola („politischer Traditionalismus“) und Leopold Ziegler („christlich-katholischer Traditionalismus“).
In seiner Kindheit indes schien dem am 15. November 1886 in eine katholische Familie in Blois – 160 km entfernt von Paris – geborenen Jungen keine große Zukunft beschieden. Da er sehr schwächlich war, wurde Guénon jahrelang zu Hause unterrichtet und besuchte erst mit zwölf Jahren eine öffentliche Schule, wo er es aber bis zur Hochschulreife, dem baccalauréat brachte. 1903 begann Guénon in Paris ein Studium der Mathematik, wechselte dann aber zur Philosophie. Bereits während dieser Zeit kam er in Kontakt mit Mitgliedern der damals überall virulenten Geheimgesellschaften und lernte den seinerzeit führenden Martinisten und Rosenkreuzer Gérard Encausse alias Papus kennen und näherte sich dessen Loge an. Kurz darauf wurde Guénon als Freimaurer in der Loge Humanidad Nr. 240 mit dem Patent des Spanischen Nationalritus initiiert, praktizierte aber eigentlich den Alten und Angenommenen Schottischen Ritus (bevor er zum Memphis-Misraïm-Ritus überging), in einer von Papus gegründeten Loge, deren Meister damals ein gewisser Charles Téder war.
Am 25. November 1907 wurde der junge Franzose in den Lehrlingsgrad aufgenommen, am 13. März 1908 in den Gesellengrad und am 10. April 1908 in den Meistergrad. Es folgte die Aufnahme in das INRI-Kapitel des Primitiven und Ursprünglichen Swedenborg-Ritus, die 1908 durch Theodor Reuss (1855 – 1923) mit der Verleihung der Kadosh-Kordel besiegelt wurde.
1908 nahm Guénon an einem Kongreß der spiritualistischen Freimaurerei teil, der am 7. und 9. Juni 1908 in Paris stattfand. Ziel war es, in Frankreich „eine initiatische Maurerei“ einzuführen, in diesem Fall die ägyptische Maurerei nach dem Alten und Primitiven Ritus von Memphis-Misraïm, deren Patent Papus von John Yarker übernahm. Dieser vertrat im Gegenzug Papus und den Martinisten-Orden in England.
Auf diesem Konvent von 1908 kam es zum „Bruch“ zwischen René Guénon und Papus, als letzterer behauptete, daß eine der beiden Grundwahrheiten dessen, was er „Spiritualismus“ nannte, die „Reinkarnation“ sei. Der erst 21-jährige René Guénon verließ daraufhin demonstrativ das Podium des Konvents, dessen Sekretariat er ansonsten hätte übernehmen sollen.
Nach diesem „Bruch“ im Juni 1908 gründete René Guénon mit einigen Freunden den Ordre du Temple Rénové – wobei er versuchte, einige Brüder von der Loge Humanidad abzuwerben, was ihn eine Zeit lang mit Papus entzweite. Zu Beginn des Jahres 1908 hatten einige Mitglieder des Martinistenordens von Papus (allerdings nicht Papus selbst) eine Séance abgehalten, in der ihnen durch automatisches Schreiben mitgeteilt wurde, daß sie einen neuen „Orden des Tempels” gründen sollten und daß der einundzwanzigjährige Guénon dessen Leiter sein sollte. Es folgten über vierzig Sitzungen mit Tischklopfen und automatischem Schreiben. Die Inspiration von Saint-Yves wird von Anfang an deutlich, als die Themen „Das verlorene Wort, die Ursprünge der Sprache, das vattanische Alphabet und seine Ableitungen” lauteten.
Diese Loge wurde jedoch nicht anerkannt und so beantragte Guénon mit der Hilfe von Oswald Wirth (1860-1943) die Legalisierung innerhalb der Großloge von Frankreich. Zunächst wurde er zweimal abgewiesen, einmal von der Loge „Travail et les Vrais amis fidèles“ (Wirths eigene Loge), einmal in der Loge „Les Cœurs Unis Indivisibles“ Nr. 197.
Stattdessen trat Guénon der von Jules Doinel, einem Bekannten Papus`, gegründeten „Gnostischen Kirche Frankreichs“ bei und wurde 1909 zum Bischof Palingénius von Alexandria ernannt. Im selben Jahr gründete er die Zeitschrift „La Gnose“ (Gnosis), in der er unter dem Pseudonym „Tau Palingenius“ bis 1922 regelmäßig Beiträge über spirituelle Traditionen des Taoismus, Hinduismus und Sufismus veröffentlichte.
1912 wurde er dann in der 1901 gegründeten Loge Thébah der Großloge von Frankreich aufgenommen. Die Großloge von Frankreich, so die überlieferte Darstellung, „überreichte Guénon im Dezember 1912 sein neues Meisterdiplom (im REAA). Mit einer Tafel vom 20. März 1912, die in der Loge Thebah verlesen wird, gibt der Föderationsrat der GLDF bekannt, daß Bruder Guénon regularisiert und nicht initiiert werden soll. Bruder Guénon ist 1912 bei mehreren Logensitzungen anwesend. Sein Meisterdiplom wird ihm bei der Sitzung am 4. April 1912 ausgestellt. Er hält am 7. November 1912 einen Vortrag. Er ist am 6. März 1913 anwesend.
Bei der Sitzung am 19. Februar 1914 wird eine Trauerbatterie zum Gedenken an seinen verstorbenen Vater abgefeuert.“
Dieser Vorgang ist zugleich der letzte, der Guénon in Zusammenhang mit Freimaurerlogen erwähnt. Evola beschloß damit das Kapitel der Liaison mit den Freimaurerlogen und beschränkte sich fortan auf die traditionellen Lehren, darunter den Hinduismus und Sufismus.
Aufgrund seiner körperlichen Konstitution vom Militärdienst verschont nutzte Guénon die Zeit des Weltkriegs für ein Philosophie-Studium an der bekannten Sorbonne-Universität in Paris. 1917 verbrachte der Franzose ein Jahr in Sétif, Algerien, wo er Studenten Philosophie-Unterricht gab.
Nach dem Ersten Weltkrieg nahm Guénon seine literarische Karriere auf: 1921 erschien sein erstes Werk, das eigentlich als Dissertation geplant war, aber abgelehnt wurde: eine Einführung in die Hindu-Doktrin („Introduction générale à l’étude des doctrines Hindoues“). Bereits im September 1920 hatte Guénons Freund Père Peillaube den Esoteriker ersucht, ein Buch gegen die Theosophische Gesellschaft zu verfassen. Diese war zur damaligen Zeit die dominante Strömung innerhalb der esoterisch-okkultistischen Szenerie und beeinflußte sowohl freimaurerische wie Rosenkreuzer-Logen. Bei seinen Streifzügen durch die französischen okkultistischen und pseudo-freimaurerischen Orden war Guénon schon früh aufgefallen, daß sich diese unterschiedlichen und oft schlecht begründeten Lehren wohl niemals zu einem „stabilen Gebäude“ zusammenfassen ließen. Erstmals, so der Autor in seinem Buch „The Reign of Quantity and the Signs of the Times“ (Die Herrschaft der Quantität und die Zeichen der Zeit) erkannte er auch die intellektuelle Leere der französischen okkultistischen Bewegung, die, wie er schrieb, völlig unbedeutend und, was noch wichtiger sei, durch die Infiltration bestimmter Personen mit fragwürdigen Motiven und fragwürdiger Integrität kompromittiert worden sei. Damit begann Guénons Agitation gegen die Theosophie und die Freimaurerlogen unter dem Stichwort der „Gegeninitiation“.
Seit 1921 veröffentlichte Guénon eine Artikelserie im Französischen „Revue de Philosophie“, dessen Inhalte Eingang in das Ende des Jahres erschienende Buch „Theosophy: History of a Pseudo-Religion“ einflossen. Das Buch, das sich auch mit dem O.T.O. und dem „Golden Dawn“ Aleister Crowleys befaßte, warf der Theosophischen Gesellschaft „eine antitraditionelle Rolle“ vor und beschuldigte sie der Tätigkeit für englische Geheimdienste, etwa in Indien. Sie sei vor allem als „Instrument der Gegeninitiation wirksam.“
Während seine Kritik der Theosophie konservative Katholiken begeisterte, schreckte er sie mit seinem Buch „Orient et
Occident“ (Orient und Occident, 1924) wieder ab. Zwischen 1920 und 1930 erschloß sich Guénon dennoch eine breite Leserschaft und wurde zunehmend von damaligen Intellektuellen und Wissenschaftlern wahrgenommen. In dieser Zeit formulierte er seine Kritik an der Moderne und schuf die Grundlage des Traditionalismus, die vor allem in dem Buch „Crisis of the Modern World“ (1927) entfaltet wurde. 1929 veröffentlichte er schließlich sein zweites Hauptwerk „Man and His Becoming according to the Vedânta“.
Das letztgenannte Buch bietet eine allgemeine Erklärung dessen, was Guénon als die grundlegenden Unterschiede zwischen der „sakerdotalen“ (priesterlichen oder heiligen) und der „königlichen“ (staatlichen) Macht ansieht, sowie die negativen Folgen, die sich aus der Usurpation der Vorrechte der letzteren gegenüber der ersteren ergeben. Ausgehend von diesen Überlegungen führt Guénon den Ursprung der modernen Abweichung auf die Zerstörung des Templerordens im Jahr 1314 zurück.
Ab 1925 schrieb Guénon für die ursprünglich von Papus herausgegebene Zeitschrift „Le Voile d´Isis“ (Schleier der Isis), die unter Guénon‘s Einfluß seit 1935 als „Les Études Traditionnelles“ („Traditionelle Studien“) bekannt wurde.
Mit dem hier folgenden Werk „Le Roi du Monde“ befaßte sich Guénon mit der Überlieferung Saint-Yves über Agartha und geheime Obere, die als Weltenlenker fungieren. Für seine vorgeblich kritiklose Übernahme von Saint-Yves’ und Ossendowskis „Fantasien“, von denen „der leichtgläubige Guénon in die Irre geführt worden sei“, erntete der Esoteriker Kritik auch aus den eigenen Reihen.
Beeinflußt von Saint-Yves`Überlieferung von geheimen Oberen näherte sich Guenon 1930 der Bruderschaft der Polaires und deren Orakel der astralen Kraft an. Obgleich er den Polaires schon bald wieder den Rücken kehrte, verband ihn eine Idee weiterhin mit einigen Protagonisten aus dem Umfeld der Polaires: Der Gedanke der Errichtung einer „initiatorischen Loge“ als Gegengewicht gegen die herrschenden Scharlatane.
Doch erst nach dem Zweiten Weltkrieg erklärte er sich auf Drängen einiger Freunde bereit, eine neue, auf seiner traditionalistischen Lehre fußende Loge einzurichten, die „La Grande Triade“ („The Great Triad“), deren Name durch die letzte Veröffentlichung Guénons inspiriert war.
Guénon kehrte nach seiner kurzen Verbindung zu den Polaires und den gegeninitatorischen Protagonisten im Jahr 1930 Europa den Rücken und reiste nach dem Tod seiner französischen Frau nach Ägypten, um in Kairo nach Sufischriften zu studieren. Bald hatte Guénon die arabische Kleidung übernommen und beherrschte die Sprache vollkommen. 1934 heiratete der zum Islam konvertierte und zum Scheich Abdel Wahid Yahia gewordene Guénon die wesentlich jüngere und des Lesens und Schreibens unkundige Fatma Hanem, die während seines Lebens zwei gemeinsame Töchter und einen Sohn gebar (ein zweiter Sohn kam erst nach seinem Tod zur Welt). Guénon war in Ägypten häufig umgezogen, lebte aber zumeist im Zentrum Kairos, dann in Dokki, ab 1946 fest in Kairo. Im Jahre 1949 wurde ihm die ägyptische Staatsbürgerschaft verliehen.
Am 7. Januar 1951, um 23.00 Uhr Ortszeit, starb René Guénon als Abdel Wahid Yahia im Alter von 64 Jahren.

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