Unvergessen bleibt dem Verfasser Ende der 1980er Jahre ein Exemplar Jürgen Spanuths (5. September 1907 – 17. Oktober 1998) „Die Atlanter“aus der örtlichen Bibliothek in die Hände bekommen zu haben; faszinierend und utopisch zugleich klang dem Laien auf frühgeschichtlichem Gebiet die These, wonach Platos Atlantis, das so viele Forscher bereits an den verschiedensten Plätzen der Erde lokalisiert zu haben meinten, einst in der Nordsee gelgen haben sollte. Doch von Seite zu Seite der Spanuthschen Beweisführung wurde das Gefühl sicherer, daß hier eine ernstzunehmende These vorlag. Angeregt durch Spanuth folgte in den nächsten Jahren die Lektüre zahlreicher Veröffentlichungen verschiedenster Autoren, die allesamt für eine großartige Hochzeit der nordeuropäischen Frühgeschichte plädierten.
Alantis in der Nordsee zu suchen erscheint für den lediglich mit der Schulgeschichtsdarstellung Vertrauten abwegig, ein paradiesartig beschriebenes Reich mit einer befestigten Hafenstadt, Tempeln, Götterstatuen und niedergeschriebenen Gesetzen direkt vor der eigenen Haustür?
Wer jedoch aufmerksam die teilweise nur in Randmeldungen erwähnten Funde im nördlichen Europa allein der letzten Jahre zur Kenntnis genommen hat, den überrascht diese These auch bei Nicht–Kenntnis der Arbeiten Jürgen Spanuths, des wohl bekanntesten Verfechters dieser Hypothese, nicht wirklich.
Neben den frühesten Einbäumen weltweit (Pesse/Niederlande, ca. 8000 v.Zw.),die Grundlage für eine frühe Entwicklung der Hochseeschiffahrt sind, stammt auch die älteste bildliche Schiffs-Darstellung aus dem Norden, der Insel Soeroeja, westlich von Hammerfest. Diese wird auf eine Entstehungszeit von 5000 v.Zw. geschätzt und zeigt einen Drachenboot–ähnlichen Typus mit 6 Ruderreihen.1 Daneben wurden nachweislich auch Tempel aus der Bronzezeit sowie eine weltweit ihresgleichen suchende Funddichte an bronzezeitlichen Waffen und Geräten in Nordeuropa festgestellt. Die Himmelsscheibe von Nebra, der Erweis einer frühen Beschäftigung mit der Astronomie, stellt da lediglich die Spitze des Eisberges dar. Zwar handelt es sich bei dem im heutigen Holland gefundenen Tempel lediglich um Reste eines 4 m² großen Holztempels aus der Zeit um 1500 v. Zw.², doch beweist dieser Fund bereits die lange in Abrede gestellte Existenz von Tempeln.
Auch die postulierte Schriftlosigkeit der frühen Germanen geriet im Laufe der letzten Jahrzehnte immer mehr ins Wanken. Die Arbeiten des Amerikaners Barry Fell eröffneten mit der Entzifferung von Inschriften neue Horizonte: Danach sollen sich nordische Besucher Amerikas aus der Bronzezeit in einer Tiffinagh-Schrift verewigt haben. Dieselbe Tiffinagh-Schrift läßt sich auch in schwedischen Felsbildern und einigen nordischen Dolmen in Form sogenannter Schalensteine nachweisen.³ Auch die Arbeiten Herman Wirths lieferten zahlreiche Hinweise auf den Schriftgebrauch im Nordeuropa der Frühzeit.4 Zu berücksichtigen bei der Betrachtung der Funde Nordeuropa ist dabei stets die vorauszusetzende – und für die Lokalisierung der Atlantis an dieser Stelle unvermeidliche – Naturkatastrophe, die sich gegen 1250 v.u.Zt. ereignet haben muß. Diese von Spanuth als Meteoriten-Einschlag gedeutete Katastrophe kann nunmehr mit einem in Skandinavien nachweisbaren Meteoriteneinschlag in Zusammenhang gebracht werden. Auf der estnischen Insel Kaali wurden bereits vor einigen Jahren mehrere Krater entdeckt, die vom Einschlag eines wohl in mehreren Kilometer Höhe auseinandergeborstenen Meteoriten stammen sollen. Der Hauptkrater hat einen Durchmesser von 110 m und ist 22 m tief. Die Kraft des Einschlags wird mit der Wirkung der Hiroshima-Atombombe verglichen (20 Kilotonnen TNT). Während erste Schätzungen von einem Einschlagszeitraum um 6000 v. Zw. ausgegangen waren, datierten jüngere Untersuchungen das Ereignis auf die letzte Hälfte des 2. vorchristlichen Jahrtausends (3237 Jahre vor Heute), also genau auf den von Spanuth postulierten Zeitraum.5
In der finnischen Mythensammlung „Kalevala“ findet sich, wie auch in anderen Erzählungen nordischer Völker, die Geschichte von der Befreiung der Sonne durch einen jungen Gott, wobei in dieser Version ein Funke auf die Erde stürzt und eine Feuersbrunst auslöst. In der sich anschließenden Eisenzeit wurde der Hauptkrater zu einem Kultplatz erkoren und mit Wallanlagen versehen.
Die Folge des Einschlags war eine mehrere Jahrhunderte andauernde Periode, die als „dunkles Zeitalter“ bezeichnet wird. Die Katastrophe verursachte die Zerstörung vieler Städte der frühen antiken Hochkulturen – der Hethiter, Mykener und Ägypter – sowie das Auftreten von Ernteausfällen und damit verbundener Hungerkatastrophen, die vor allem Stämme aus dem Norden zum Verlassen ihrer Heimat zwang. Auch die einstigen Stein-Tempel und –Häfen in Nordeuropa wurden zerstört und von Wasser überspült. Ein Fund eines 1800 Jahre alten blauen Mantels aus dem Thorsberger Moor weist auch auf die überlieferte Königswürde hin. Tauchfahrten zum Steingrund vor Helgoland in den Jahren 1911, 1943 und von Spanuth selbst durchgeführte zwischen 1950 und 1953 erbrachten dabei neben bearbeiteten Wegesteinen, und mehreren Kupfer- und Bronzeobjekten auch Reste von Steinbauten, was allerdings bis heute unbestätigt blieb. Weiterhin wurde auch Elfenbein geborgen, welches jedoch wahrscheinlich Importstücke aus späterer Zeit waren. Wenn dieser Fund auch nicht das für Atlantis von Plato bestätigte Vorkommen von Elefanten im bronzezeitlichen Nordeuropa beweist, hat dafür der Erklärungsansatz Steuerwalds einiges für sich, der – ausgehend von nordischen Felszeichnungen von Elefanten, die teilweise auf Schiffen stehend dargestellt werden, Transporte von Elefanten in den Norden annimmt, wo diese dann in den heutigen Tierparks ähnlichen Gehegen lebten – dadurch wird die Nordsee–Lage zum einen der Plato–Überlieferung gerecht und erklärt auch die Funde am Steingrund.6
Unterstützend gelang es im 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts an der Nordseeküste den Untergang zahlreicher Marschen und die Zerstörung weiter Küstengebiete nachzuweisen. Am Ende der Bronzezeit, etwa um 1220 v. Zw., versanken in einer verheerenden Sturmflut ein großer Teil der Westküste von Schleswig-Holstein und Dänemark sowie viele vorgelagerte Inseln. Diese Sturmflut wurde offensichtlich durch den Einschlag eines Kometen, des Phaeton der griechischen Sage, verursacht. Apollonios von Rhodos berichtet, daß Phaeton in die Mündung des Eridanos stürzte. Dadurch wurde die vermutliche Königsinsel Basilea, nahe der Hauptbernsteininsel Althelgoland verwüstet und versank teilweise unter dem Meer. Vieles von Plato beschriebene deckt sich mit der tatsächlich anzunehmenden Lage Helgolands, u.a. rotes, weißes und schwarzes Gestein, das Vorhandensein von Kupfer sowie Bernstein, das hinter dem Orichailkos der Atlantis-Überlieferung stecken könnte, wie Spanuth vermutete.
Ein besonderer Verdienst des prähistorisch geschulten Pastors aber war die Neudatierung der Atlantis-Geschehnisse in die Epoche der Bronzezeit und die Gleichsetzung mit den Seevölkerangriffen im Mittelmeer um 1220 v. Zw. Laut Spanuth waren die dem Solon von ägyptischen Priestern genannten 9000 Jahre Mondjahre, die umgerechnet – 1 Jahr = 12 Mondjahre – 750 Jahre vor dem Besuch Solons in Ägypten (um 565 v. Zw.) ergaben (ca. 1315 v. Zw.). In Ägypten waren die Angriffe der Seevölker aus dem Norden im Totentempel Ramses’ III. (ca. 1221–1156 v. Zw.) in Medinet Habu schriftlich nund bildlich festgehalten worden: Die bekanntesten der genannten Völker waren die Pursta (prwsṯ) , die Danauna (d3jnjw) und die Tursa (twrš3) , die heute als Philister, Danaer und Tyrsener bzw. Etrusker identifiziert werden und Spanuth zufolge aus Nord- und Mitteleuropa stammten. Die Naturkatastrophe um 1300 v. Zw. hatte die sogenannte Urnenfelderbewegung ausgelöst, eine Zeitspanne, in der europäische Volksstämme aus ihrer Heimat aufbrachen und in den Süden wanderten, wo sie als Dorische Wanderung Einzug hielt. Kurz darauf brechen mit dem endgültigen Untergang der Kulturen der Hethiter, Trojaner und Mykener die dunklen Jahrhunderte an.
Literatur:
Trojaburg Sonderausgabe Atlantis
Jürgen Spanuth: Das enträtselte Atlantis
Jürgen Spanuth: Stollberg – ein altes friesisches Nationalheiligtum
Franz Altheim: Italien und die Dorische Wanderung
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