Forsite Verlag Beiträge zur Frühgeschichte Eine seltene Begegnung: Der Geheimbund der Polaires und die SS

Eine seltene Begegnung: Der Geheimbund der Polaires und die SS



Im Juni 1937 kommt es in Berlin-Grunewald zu einem Treffen mit Seltenheitswert. Himmler-Berater Karl-Maria Wiliut, besser bekannt unter seinem Decknamen „Weisthor“, der Deutsch-Finne Yriö von Grönhagen, und ein älterer Herr namens Gaston de Mengel treffen sich in Wiliguts Dienststelle in der Caspar-Theiss-Straße. Das anschließende Gespräch dreht sich um esoterische Themen, Episoden der Frühgeschichte und um im Verborgenen wirkende Logen – vor allem um die Frage, inwieweit Geheimbünde für das Deutschland der 1930er Jahre nutzbar gemacht werden könnten. Letzteres ist vor dem Hintergrund des fast zeitgleichen Verbotes aller Geheimbünde in Deutschland überraschend. Erstaunlich ist auch der Umstand, dass sich zumindest einige der Akten dieser Episode in deutschen Archiven erhalten haben. Kaum weniger die Tatsache, daß Himmler sich weiteren Gesprächsrunden der drei Männer anschließen wollte. Immerhin war der ältere Herr der Gesprächsrunde selbst Mitglied eines Geheimbundes, und zwar der in Frankreich wirkenden Bruderschaft der Polaires, die sich offiziell 1929 gegründet hatte. Angesichts der Kritik, der sowohl Himmler, als auch sein 1935 gegründetes Wissenschaftsinstitut „Ahnenerbe“, dem Weisthor und von Grönhagen angehörten, ausgesetzt war, hätte ein Treffen mit einem ausländischen Logen-Angehörigen durchaus Anlaß für Kritik geboten.

De Mengel hatte schon seit 1915 in einschlägigen esoterischen und okkultistischen Zeitschriften publiziert, wobei sein Fokus auf der Alchemie lag. Eingeladen wurde der gebürtige Brite mit dem französischen Namen jedoch insbesondere wegen eines Artikels in der Zeitschrift „Mercure de France“ aus dem Jahr 1935 mit dem Titel „Infidelité des Francs-Maçons“ („Die Untreue der Französischen Freimaurerei“, 1. August 1935). Hier weist de Mengel zwar den nicht nur im Deutschland der 1930er Jahre weit verbreiteten Glauben zurück, daß die Freimaurerei eine Schöpfung des Judentums sei, spricht aber von einer „späteren Einmischung“ desselben:

„…Man kann diesbezüglich sagen, daß alles … zur Realisation eines einzigartigen
Planes geschieht … steckt nicht hinter all diesen Bewegungen
sonst eine furchtbare Sache, die vielleicht selbst ihre Leiter nicht einmal
kennen und für die sie dennoch nichts anderes sind als bloße Instrumente?
Wir können es nicht oft genug wiederholen: Die spekulative Freimaurerei
wie das Judentum, wie die Theosophie … wie ebenfalls die politischen
Bewegungen, national oder global, seien sie noch so widersprüchlich,
sie alle sind nichts anderes als Instrumente, manipuliert von Gruppen
ausgestattet mit einer ungeahnten Kraft, die auf ein einzigartiges und
schreckliches Ziel abzielen, abzielen … In jeder Hinsicht wäre ein Geraderichten
der Freimaurerei im Sinne der Tradition daher besser.“

De Mengels Schlußfolgerung, die darauf hinauslief, Geheimbünde für eigene Zwecke nutzbar zu machen, stieß innerhalb der SS Himmlers, denen der Polaire durchaus freundlich gesinnt schien, auf offene Ohren. Im Anschluß an die Berliner Gespräche reiste der Okkultist nach Finnland, wahrscheinlich gemeinsam mit Yriö von Grönhagen, und berichtet in mehreren Briefen an die SS über „schwarzmagische Kraftachsen“ und „schwarze Geheimzentren“. Die Reaktionen Himmlers auf die Berichte und Vorschläge des Briten sind nicht überliefert, Mitarbeiter des Ahnenerbe sehen die Korrespondenz jedoch kritisch. Schließlich landen die Berichte gemeinsam mit Kopien der Arbeiten de Mengels im Archiv der Wewelsburg.

Wie kam es aber dazu, daß Himmler dem Briten soviel vertraute, sich persönlich mit ihm zu treffen und ihn mit Forschungen zu betrauen? Alles spricht dafür, daß ein weiterer Protagonist der Zusammenarbeit in der Vergangenheit den Weg geebnet hatte. Bereits 1924 hatte de Mengel mit einem damals umtriebigen Logenangehörigen eine Studiengesellschaft für westliche Esoterik gegründet. Der Name des in Deutschland bislag weitgehend unbekannten Mannes: Georges Monti. Dieser unterhielt 1924 sogar noch Verbindungen zu einem heute sehr bekannten Okkultisten, der als Personifkation des Bösen schlechthin gilt: Aleister Crowley. Während Crowley seine Sympathien für Deutschland nur zum eigenen Vorteil nutzte, um sie bei der nächstbesten Gelegenheit wieder abzulegen, wie getragene Wäsche, verhielt es sich bei Monti anders. Bereits während des Ersten Weltkrieges stand der bei den Jesuiten erzogene junge Mann als Agent der Deutschen im Verdacht, da er Verbindungen zu einer deutschen Rosenkreuzerloge und einem weiteren Geheimbund unterhielt, bei dem es sich um den Germanen-Orden gehandelt haben dürfte. 1914 durchsuchten die französischen Behörden Montis Wohnung. Belastendes wurde offenbar nicht gefunden, denn kurz darauf wurde der Logenmann, der zeitweise auch den Rosenkreuzern, den Martinisten, den Türkischen Rosenkreuzern und einer griechischen Freimaurerloge angehörte, kriegsbedingt zum Militärdienst verpflichtet. Allerdings lag sein Einsatzgebiet nicht im Schützengraben, sondern in der Bibliothek von Orleans. Nach dem Krieg verkehrte Monti erneut in Deutschland bevor er als Schauspieler und Regisseur nach Rom übersiedelte. Hier ging er in Logenhüsern ein und aus, hegte aber auch Sympathien für Mussolini und seine Partei. Er soll sogar, so zumindest ein Biograph Montis, „den Schlüssel zur italienischen Freimaurerei in Händen gehalten haben“ – was bedeutet, er hatte genug Kenntnisse, um sie auslöschen zu können. 1935 erfolgte für einige Beobachter überraschend die Konversion zum Judentum. Als Georges Israel Monti tritt der Franzose als erster nicht-jüdisch geborener dem B´nai B´rith-Orden bei. Ein plötzlicher Sinneswandel? Wohl nicht, denn Monti hinterläßt Berichte, die heute als antisemitisch eingestuft werden dürften. Seiner Überzeugung nach, arbeite die B´nai B´rith im Sinne des Weltjudentums an der Weltherrschaft: „Aus den Studien, die er durchführte, und den Notizen, die er hinterließ, ergibt sich,“ so eine damalige Quelle, „die Schlußfolgerung, daß die jüdische Gefahr ernst ist und die ganze Welt bedroht.“

1935 gelingt es Monti als vermeintlichem Sympathisanten der internationalen Freimaurerei in Rumänien zugunsten Codreanus und der Eisernen Garde mitzumischen – eine Tat, die seine Treue zu den Achsenmächten bekräftigt haben soll, wie es in den Quellen heißt. Zugleich aber besiegelt seine Doppelgententätigkeit nun auch das weitere Schicksal Montis. Der Freimaurerverband „Grand Orient d´France enthüllt kurz darauf, daß der Multilogenmann ein Betrüger sei, der keine ordentliche Freimaurer-Initiation absolviert habe und als Doppelagent für Deutschland tätig wäre. Wenige Wochen später wird Monti nach einem Bankett tot in seiner Wohnung aufgefunden – übersät mit schwarzen Flecken, was ein Hinweis auf eine Vergiftung war.

Kurz darauf bricht de Mengel aus Paris nach Berlin auf. Auf Einladung von Grönhagens und im Auftrag der Polaires, die sich auf einer Friedensmission wähnen. Die Erhaltung des Friedens war eine der selbst gestellten Aufgaben der Polaires, die von einem Friedensreich unter dem Zeichen des Polarsterns träumten, der einst Symbol der Weisheit der Welt innerhalb eines arktischen Menscheitsparadieses gewesen sei. Als Manifestation des Bösen erkannten zumindest einige der Polaires den sich ausbreitenden Bolschewismus jener Epoche. Mit dieser Annahme waren sie sich mit Himmler einig, weshalb sich eine Zusammenarbeit anbot, die zum Auftrag der Aufklärungsarbeit für die SS in Finnland führte. In damaligen Okkultkreisen der Martinisten und Teilen der Rosenkreuzer sowie Theosophen, so auch das Fazit von Franz Wegener, wurde „in etwa dieses Verschwörungsszenario gepflegt: Hinter den Freimaurern und Juden sollten deren ‚Brüder vom Stuhl‘ und sonstige Gruppenleiter stecken. Diese wurden angeblich gelenkt von den Vertretern einer okkulten Bruderschaft, den ‚dunklen Mahatmas‘ (nach Martinisten-Orden-Meinung / Theosophie / Guénon), die ihrerseits wiederum zentral aus einem ‚Schwarz-Zentrum‘ mit unbestimmtem Ort auf der Erde instruiert worden sein sollen.“

Mehr über Gaston de Mengel, Georges Monti und die Tätigkeit der Polaires erfährt der Leser in der kürzlich erschienenen Veröffentlichung „Die Mission der Polaires“, die sowohl denjenigen zu empfehlen ist, die sich mit der Welt der Geheimbünde auseinandersetzen, als auch jenen Lesern, die sich für weitgehend unbekannte Episoden der Geschichte der SS interessieren…

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