Ahnenerbe-Forscher trafen den Panchen-Lama in Tibet, reisten in geheimer Mission durch den Vorderen Orient, erkundeten Strandlinien in afrikanischen Wüsten, führten archäologische Grabungen in ganz Europa durch und arbeiteten an geheimen Waffenprojekten – bis heute zählt die Organisation „Ahnenerbe“ zu jenen wenig bekannten Institutionen des Dritten Reiches, denen eine Schlüsselrolle in der okkulten Geschichte des 3. Reiches zugemessen wird.
Doch was steckt wirklich hinter den abenteuerlichen Geschichten über das Ahnenerbe, die es in fiktionalem Gewand – etwa die Spielfilme „Indiana Jones“, „Hellboy“ u.a. – sogar bis in die US-Filmindustrie Hollywoods geschafft haben?
Der Forschungsstand
Bis zur Fertigstellung der ersten wissenschaftlichen Abhandlung über das Forschungsamt im Jahre 1974, aber ungeachtet der wissenschaftlichen Erkenntnisse auch darüber hinaus, haftete dem Ahnenerbe stets der Schleier eines „Geheimbundes“ an. Gemeinsam mit der Thule-Gesellschaft soll das Ahnenerbe den „exoterischen Teil“ eines geheimen Bundes dargestellt haben, der hinter dem Dritten Reich stand: „Die Arbeiten des Forschungsamtes Ahnenerbe… bilden gewissermaßen die theologische Seite, während der Schwarze Orden den mystischen Aspekt der Religion der Herren von Thule verkörpert“ geben Pauwels und Bergier, die Schöpfer einer ganzen Reihe von Legenden um das Ahnenerbe, ihren Lesern kund. Die „sektiererischen Ursprünge“ der NSDAP sollen im Ahnenerbe „Unterschlupf“ gefunden haben, weiß auch eine jüngere Veröffentlichung zu berichten, die mit ihrer politisch motivierten Verquickung von Halbwahrheiten und Ungenauigkeiten ein gutes Beispiel für die Bewertung des Ahnenerbes in populärwissenschaftlichen Veröffentlichungen darstellt.
Wie weit sich diese Gedankengänge spinnen, ist an einem weiteren „Standardwerk“ der Verschwörungstheorien zum dritten Reich „Die heilige Lanze“ von Trevor Ravenscroft zu beobachten, das allerdings eifrig aus dem Fundus von Pauwels und Bergier schöpfte, welches wiederum stark von Rauschnings angeblichen Gesprächen mit Hitler beeinflußt wurde. Diese „Gespräche“ geistern dabei – obgleich 1984 als wissenschaftlich unbrauchbar erwiesen – munter durch die gesamte Literatur der NS-Forschung.
Andere Autoren bezeichnen das Ahnenerbe dagegen wahlweise als „pseudowissenschaftliches Forschungsinstitut“ oder als „williges Werkzeug der verbrecherischen Hitlerdiktatur“, wobei die Mehrzahl die Begründung für diese Werturteile schuldig bleibt.
Ein besonderes Detail bezüglich der Rolle des Ahnenerbe schließlich, ist die Behauptung der Beteiligung an der Errichtung deutscher Geheimbasen im Ausland, insbesondere in „Neuschwabenland“, sowie am Bau deutscher Flugscheiben.
Bemerkenswert in Hinblick auf die Arbeiten des Ahnenerbes insgesamt gesehen, ist zweifellos der Versuch, verschiedene Wissenschaften und Teilwissenschaften ganzheitlich, aus verschiedenen Blickwinkeln zu betrachten, was aufgrund der Vielzahl der voneinander abgeschiedenen Wissenschaftsbereiche zuvor versagt bleiben mußte. Zwar stand hier sicherlich ein politischer Anspruch hinter diesem neuen Weg der Wissenschaft, formell betrachtet stieß dieser Ansatz jedoch nicht nur bei damaligen Nationalsozialisten auf Zustimmung, sondern wurde auch von anderen Persönlichkeiten im Hinblick auf eine Neuausrichtung der Wissenschaft gefordert.
Tätigkeitsbereiche des Ahnenerbe
Gegründet wurde das Ahnenerbe offiziell am 1. Juli 1935 als eingetragener Verein unter der Firmierung: „Deutsches Ahnenerbe. Studiengesellschaft für Geistesurgeschichte“.
Zu Beginn bestand eine enge Anlehnung an das von Richard Walther Darré geführte RuSHA, die Himmler im Februar 1936 per Weisung als verbindliche Zusammenarbeit fixierte.
Im Mai 1936 erfolgte die Namensänderung des Vereins in „Deutsches Ahnenerbe“ e. V., Himmler wurde offiziell Vorsitzender eines „Kuratoriums“ (Erster Kurator) und Vorstand. Am 24. 2. 1937 erfolgte eine erneute Namensänderung in „Das Ahnenerbe e. V“. Am 1.1. 1939 kam es zu einer erneuten Satzungsänderung und Himmler wurde als Vorstand nun Präsident. Seit 1942 besaß das „Ahnenerbe“ den Charakter eines eigenen SS-Amtes als „Amt A“. Amtschef wurde Prof. Walther Wüst und sein Stellvertreter Wolfram Sievers.
Offiziell sollte das Ahnenerbe als kulturpolitisches Referat der SS verschiedene Wissenschaften „aus dem Blickwinkel der germanisch-deutschen Geschichte bündeln“ und als „Vorhut der NS-Bewegung zur Aufwertung der deutschen Seele“ nutzen. Es bestand aus verschiedenen wissenschaftlichen Abteilungen, die sich vornehmlich mit Germanenkunde, indogermanischer Sprachwissenschaft, indogermanischer Volkskunde, Kulturgeschichte und Archäologie beschäftigten, war aber bestrebt, die verschiedenen Fachgebiete in Hinblick auf eine indogermanisch-germanische Weltanschauung zu einem Gesamtergebnis zusammenzufassen, welches „den Forschungsstand als Ganzes erfaßt und begreifbar macht,“ wie der RF-SS formulierte.
Von sechs während der Gründungsphase bis zur Satzungs- und Namensänderung im März 1937 eingerichteten sogenannten Pflegestätten („Schrift- und Sinnbildkunde“ [Wirth – seit Juli 1935], „Germanenkunde“ [Teudt – Oktober 1936], „(Indoarische) Wortkunde“ [Wüst – Oktober 1936], „Märchen- und Sagenkunde“ [Plassmann – Februar 1937], „Indogermanisch-Finnische Kulturbeziehungen“ [von Grönhagen – Februar 1937], „Wetterkunde und Welteislehre“ [Scultetus – Februar 1937]), erhöhte sich deren Zahl bis zum Jahr 1939 auf 34 verschiedene Forschungsabteilungen; 21 davon im Inland, sowie weitere außereuropäische Stätten. 1945 existierten schließlich 45 offizielle Forschungsstätten.
Darunter befanden sich Themengebiete wie etwa Wetterkunde und Astronomie, welche im Hinblick auf die Erforschung der Welteislehre Hörbigers tätig wurden und rasch an Bedeutung zunahmen. Michael Kater weist darauf hin, daß einige der aufgeführten Abteilungen (Osteologie, Volksmedizin, Tiergeographie, Indogermanisch-deutsche Musikwissenschaft, Urgeschichte, Wurtenforschung, Geheimwissenschaften) lediglich auf dem Papier existierten, da sie nicht „nachgewiesen werden konnten“. Gerade diese offensichtliche Lücke in der Dokumentation der letztgenannten Forschungsrichtungen, insbesondere in Bezug auf die Geheimwissenschaften, dürften den Anstoß für zahlreiche Spekulationen in dieser Richtung geliefert haben.
Im Rahmen der Ahnenerbe-Schriftenreihe wurden in den der SS nahestehenden Verlagen, Widukind-Verlag und Hase & Koehler, ab 1938 dann im eigenen Ahnenerbe-Stiftung-Verlag, zahlreiche Schriften publiziert, die das Wirken der Vereinigung publizistisch unterfütterten.
Himmlers Privatforscher
In zahlreichen Weisungen Himmlers an das Ahnenerbe wird deutlich, wie er sich diese Zusammenarbeit vorstellte: Nämlich als ein gemeinsames Wirken von Fachleuten der verschiedensten Fachgebiete, wo angebracht, unter Hinzuziehung von Privat- und Laienforschern, die gemeinsam die oft von Himmler selbst erteilten Aufträge erfüllen sollten. Heftige Kritik äußerte Himmler vor allem dann, wenn von ihm gestellte Forschungsersuchen seine Erwartungen sowohl vom Ergebnis als auch von der Art der Durchführung nicht erfüllten. So äußerte er anläßlich einer Höhlenergrabung in Busau: „Der Reichsführer erwartet, daß die Zusammenarbeit im Ahnenerbe umgehend so wird, wie er sich das vorstellt. Er wünscht zunächst einmal den Bericht über die Tropfsteinhöhle und weiterhin die Einschaltung der anderen beiden Abteilungen und dann möglichst bald einen Bericht über das, was sie dort gefunden haben. Den augenblicklichen Zustand vergleicht der RF-SS mit der eifersüchtigen Abkapselung eines jeden wissenschaftlichen Gebietes, wie es ja auf den Universitäten und in der gesamten deutschen Wissenschaft bisher der Fall ist, daß jeder Kollege eifrig darüber wacht, sein Gebiet vor seinen Kollegen abzuschließen.“
Ein weiterer Zweck der Arbeit des Ahnenerbe lag in der Rekonstruktion des Ahnen- und Sippenkultes sowie der Glaubenswelt der frühen Germanen. Letztere sollte auf längere Sicht wiederbelebt werden und langfristig auch eine Rolle als „Ersatzreligion“ für das Christentum spielen. Dabei wurde allerdings nicht auf den Wotanismus, bzw. die Götterwelt der Edda-Überlieferung abgezielt, die einigen Forschern als „Religion der Verfallszeit“ galt, sondern auf den Lichtbringerkult der frühgermanischen Zeit.
Zu Beginn lag der Schwerpunkt der Ahnenerbe-Arbeiten auf den persönlichen Steckenpferden Wirths – der Sinnbildkunde – sowie der Germanenkunde von Wilhelm Teudt, dem Wiederbegründer der modernen Externsteinforschung.
Weiterführend:
D. Krüger: Der Aufgang der Schwarzen Sonne
D. Krüger: Indogermanisches Erbe und 3. Reich